„Ich hab gedacht hier wird es furchtbar laut sein, aber das ist ja gar nicht so. Stell dir vor sie würden die Unsrigen so einpferchen, da würd‘ es anders zugehen,“ kommentiert eine schaulustige Anrainerin das Geschehen am Grenzübergang Spielfeld. Zwei Polizistinnen versuchen die vier älteren Personen zwar vom Platz zu verweisen, die Pensionisten lassen sich jedoch von einem kurzen Blick nicht abhalten. Mann will ja wissen, was passiert. „Ich versteh das nicht“, sagt die Polizistin. „Das ist unmenschlich. Ich wäre heute lieber daheim bei meiner Familie.“ Von oben, von der Autobahn, ist der Flüchtlingsstrom, der sich über den alten Grenzübergang auf der etwas tiefer gelegenen Bundesstraße zwängt, gut zu beobachten.
Die Masse (laut Polizeiangaben am Sonntag rund 4000 Menschen) wird vom Bundesheer kurz nach dem slowenischen Grenzübergang kanalisiert. Das Nadelöhr und erstes Gateway bildet eine Kette aus 30-40 Soldaten mit orangen Warnwesten. „Don’t push! You only hurt your own people! We are here to help you, please help us“, ist immer wieder aus dem Megaphon der Soldaten zu hören. Zwischendurch haben sie den Spruch auch auf Arabisch drauf. Tröpfchenweise werden die Menschen durchgeschleust. Kontrolliert wird nicht, aber man versucht, ordentliche Rahmenbedingungen zu schaffen. „Die österreichischen Soldaten sind spitze, dass muss ich schon sagen“, sagt Bartholomäus, einer der freiwilligen Helfer vor Ort. Vor zwei Wochen sei er in Ungarn gewesen, da würde sich das Militär ganz anders benehmen. Zu dritt stehen die Freiwilligen mit weißen „Team-Österreich“ Warnwesten in der Menge und plaudern mit den Flüchtlingen. Der 20-Jährige ist seit Freitag hier und bleibt bis Montag. „Dienstag ist wieder Uni, da müssen wir zurück nach Wien.“ Aber selbstverständlich wolle man sich engagieren. „Jetzt am Tag ist es allerdings echt ruhig. Komm mal in der Nacht vorbei, da spielen sich die wirklichen Dramen ab“, sagt Bartholomäus.
Soldaten: „Uns geht es gut, wir machen halt nur unseren Job“
Tatsächlich geben die Soldaten (und auch sämtliche Polizisten) ein professionelles Bild: Kein martialisches Auftreten, keine Sturmgewehre (eine Glock Pistole hat dennoch jeder umgeschnallt) und zumindest auf den ersten Blick kein unhöflicher Ton. Soldatische Ordnung ist ja bekanntlich das halbe Leben. Die slowenischen Uniformierten treten anders auf: Volle Kampfmontur, Sturmgewehr demonstrativ vor der Brust. Hier wird gleich gezeigt, was einen erwarten kann. Zwei Berufssoldaten vom Jägerbatallion 26 aus Spital an der Drau erzählen, dass sie bereits seit 30 Tagen hier stationiert seien. „Aber uns geht es eigentlich gut. Wir machen halt auch nur unseren Job“, sagt einer. Größere Reibereien oder Eskalationen hätten sie keine vernommen. Zum Einsatz kommen hier natürlich ausschließlich Berufssoldaten und Profis.
Am zweiten Nadelöhr Richtung österreichisches Grenzgebäude wird der Ton schon etwas schärfer. Zwei Polizisten bemühen sich, den Menschentross in Gruppen zu je 50 Leuten aufzuteilen. „Get in line!“, schreit ein Polizist immer wieder. „Get in line or you go back!“. Die Flüchtlinge müssen eine Zweierreihe bilden. Einzelne wollen vorpreschen. Eine weinende Frau mit einem blauen Kopftuch wird an der Gruppe von einem der Polizisten vorbeigeführt. Sie versucht immer wieder, sich an seinem Arm einzuhängen, traut sich dann aber doch nicht. Auf dem Vorplatz vor dem Grenzgebäude heißt es dann hauptsächlich warten. Wer es bis hierher geschafft hat, für den rückt Deutschland schon ein wenig näher. Ein Bus braucht ungefähr zehn Minuten bis zur Abfahrt. Auf Nachfrage gibt der Busfahrer als Destination Passau an. Er fahre jetzt schon zwei Tage diese Strecke. Probleme habe er noch keine gehabt.
„ISIS? Das sind keine Muslime!“
Hier wartet auch Abdullah auf die Abfahrt nach Norden. „Wie weit ist es nach Wien?“, fragt der 25-Jährige. Jedenfalls zu weit, um zu Fuß zu gehen. Der Syrer fällt wohl in die berühmte Kategorie des „jungen, wehrfähigen Mannes“ – heute sind jene angeblichen Kämpfer jedenfalls in der Unterzahl: Frauen und Kinder dominieren die Menge. Zur Wehr setzte sich der ehemalige Student jedoch ohnehin nicht, dafür ist ihm die Konfliktlage in seinem Heimatland zu aussichtslos. „Mein Haus in Homs wurde im Bombenhagel zerstört“, sagt er. Die ganze Familie habe Syrien verlassen, vor drei Jahren schon. Seitdem ist Abdullah unterwegs. Der Überfahrt über die Ägäis nach Griechenland gingen Jahre im Libanon und in Saudi Arabien voraus. Von der Türkei bis Schweden, seiner finalen Destination, rechne er mit acht Tagen Reisezeit. In Spielfeld sei er vor einem Tag angekommen. Warum nach Schweden? „In Malmö wohnt bereits mein Bruder. Dort wollen wir, also meine Schwester, ihre Kinder und ich, unterkommen. Ich hoffe, dort weiter studieren zu können.“
Aber wie sieht es eigentlich mit Daesh (ISIS) in Syrien aus? Sympathisiere er nicht ein wenig mit den radikal-islamistischen Rebellen, da sie ja trotz allem Assad bekämpfen? „Nein! Daesh, das sind keine Syrer. Bei denen geht es nur ums Geld. Daesh hat immerhin zuerst Muslime getötet. Daesh sind in meinen Augen keine Muslime,“ erzählt Abdullah. Die umstehenden Männer stimmen zu, einige spucken tatsächlich demonstrativ zu Boden.
„Geschossen hat der Tätowierte“
Im Zehn-Minuten-Takt fahren die Busse auf die Autobahn auf. Beim Kreisverkehr hinter dem Grenzgelände hat Karl Sternad einen prominenten Platz. In seinem Restaurant schätzt man anscheinend die panierte österreichische Kost: Backhendl, Schnitzel und mehr frittiertes Zeug werden serviert. Sternad steht an vorderster Front. Oder zumindest stand er an vorderster Front, als Ende letzter Woche die Flüchtlinge vom Grenzgelände einfach auf eigene Faust los zogen. Vom Ausnahmezustand in Spielfeld war die Rede. Auf Facebook kursierten Gerüchte über den Einsatz von Pfefferspray und es wurden Warnschüsse seitens eines Geschäftsinhabers behauptet. Also wie war das jetzt mit dem Ausnahmezustand? „Ja, wir haben tatsächlich Pfefferspray eingesetzt“, sagt der Platzhirsch Sterner. „Weil sich die Massen unkontrolliert bei uns im Restaurant angestellt haben. Um sie in Schach zu halten. Die haben uns überlaufen.“ Bezahlt hätten sie aber alle. Ein schlechtes Geschäft kann Herr Sternad nicht gemacht haben. Dafür musste er aber auch 21 Müllbeutel aus seinem Gastgarten abtransportieren. Von Exekutive und Militär ist der Schnitzelwirt enttäuscht. „Ich wollte Polizisten oder Soldaten in meinem Gastgarten haben, die haben mir aber keine zur Verfügung gestellt.“ Und die Warnschüsse? Hat da jetzt jemand geschossen? „Ja, geredet haben die Leute. Ich kanns aber nicht nachsagen. Aber das war ja der vom Las Legas unten. Das is ja so ein Tätowierter. Könnte sein das der war. Ich weiß es aber nicht.“
Auf der Fahrt durch Spielfeld und die umliegenden Orte ist vom angeblichen Ausnahmezustand nichts mehr zu sehen. Im Gegenteil, präsentiert sich der Ort doch in typisch österreichischer Sonntags-Manier: Verschlafen und menschenleer. Heute ging die Abfertigung der ankommenden Flüchtlinge jedenfalls in einem soldatisch-ordentlichen Rahmen von statten. Wie sich Spielfeld abends entwickelt, hat sich Daniel Weber für Neuwal angeschaut.
Laut ist es jedenfalls an diesem Herbstsonntag in Spielfeld nicht. In den sozialen Medien wird jedoch gerne laut geschrien und unreflektiert das rezitiert, was dubiose Quellen von sich geben. Laut schreien tut auch schon mal der Chefredakteur der Steirerkrone, Christoph Biro, der für seinen ausufernden Kommentar vom Sonntag den Hut nehmen müsste. Lösungsorientiertes Arbeiten sieht nämlich anders aus.
Danke für diesen wohltuend unaufgeregten Lagebericht!