…oder: möglicherweise haben wir ein Problem zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
Griechenlands Führung will sein Volk befragen. An sich nichts ungewöhnliches in einer Demokratie, sollte man meinen. Sollte.
Frank Schirrmacher schreibt in der FAZ über die Augenscheinlichkeit, dass Demokratie im Verständnis des modernen Europas „Ramsch“ sei. Die Schicksalsfrage eines Volkes solle letztlich auch die Frage desselben Volkes sein. Schirrmacher verweist auf den Machtkampf zwischen dem Primat des Ökonomischen und dem Primat des Politischen, den Europa derzeit erlebt. Die politischen Begriffe, die mit dem vereinten Europa verbunden werden, verabschieden sich.
Dagegen schreibt die Süddeutsche Zeitung, dass die griechische Politik nicht mehr Sache der Griechen allein sei und immerhin das Schicksal der anderen 16 Euro Staaten mit auf dem Spiel stehe. Griechland habe auch eine Verantwortung für Europa. Also Volksabstimmung? Grundsätzlich gut (grundsätzlich!) aber lieber doch: nein, danke.
Es ergeben sich zwei Implikationen: Erstens unterliegt das Politische tatsächlich dem Ökonomischen, obwohl eine saubere Trennung schwer nachzuvollziehen ist. Der Demokratiebegriff hat sich im konkreten Fall der ökonomischen Rationalität (wo auch immer die sein soll) bzw. den Finanzmärkten unterzuordnen. Deswegen wird Papandreou mit der Idee des Referendums auch als geisteskrank dargestellt. Sein Volk befragen lassen? Was sich der wohl dabei denkt?!
Zweitens, und viel bedeutender, wird der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Europäischen Union deutlich. Die halbherzige Zwitterstruktur, irgendwo zwischen Supranationalismus und Intergouvernmentalismus, lahmt den gesamten Prozess, ja lahmt dieses Konstrukt, das sich EU nennt. Vielmehr noch lahmt sie auch das Verständnis über ein geeintes Europa im 21. Jahrhundert. Egoistische Staatsfürsten wollen einerseits Teil einer soliden Union sein, und andererseits beharren sie auf ihre nationale Souveränität als hätten wir das Jahr 1899. Sie verharren in einem strikt nationalen Blick und verkennen die Wirklichkeit und die Zukunft Europas. Die kosmopolitische Zukunft Europas, um es auf den Punkt zu bringen, als Musterbeispiel für friedliche übernationale Integrationsprozesse und den Abbau von Nationalismen. Schafft es die EU jedoch nicht, sich dieser Zwitterstruktur und der Souveränitätsstreitigkeiten zu entledigen, dann könnte genau das Gegenteil eintreten und wir fallen zurück in die containerartige Welt der Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts.
Gleichzeitig suchen große Teile der Bevölkerungen, möglicherweise aus Angst vor Veränderungen, Zuflucht in dieser „nationalen Imagination“. Rechtspopulistische Politiker bedienen sich kräftig daran, mit Erfolg. Heimat zuerst! Aber welche Heimat?
Der Heimatbegriff sollte langsam aber sicher von den fiktiven nationalen Grenzzäunen getrennt werden. Dazu ist es notwendig, auf europäischer Regierungsebene funktionierende Strukturen und Institutionen zu etablieren, die der Realität des 21. Jahrhunderts angepasst sind, um letztlich in den Köpfen der Menschen ein Umdenken zugunsten einer gemeinsamen Union, einem gemeinsamen Projekt, zu bewirken. Schließlich sind es die Menschen, die davon überzeugt werden müssen.
Andernfalls sollten wir die „Demokratie“ grunstätzlich in Frage stellen, und uns andere Organisationsformen überlegen. Denn „das Ende der Geschichte“ wird die Demokratie ja wohl auch nicht sein.
http://www.faz.net/aktuell/der-griechische-weg-demokratie-ist-ramsch-11514358.html
http://www.sueddeutsche.de/politik/griechenlands-premier-papandreou-die-idee-ist-gut-aber-europa-nicht-bereit-1.1178426
http://www.cicero.de/weltbuehne/griechenland-euro-rettung-welche-folgen-papandreous-referendum/46361?seite=1